Montag, 28. März 2011

Die Wahrheit wohnt nur 2 Häuser entfernt

...oder über die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen.

Der Begründer des Web, Tim Berners-Lee, wurde einst gefragt, ob Menschen jetzt gebildeter und klüger werden. Er antwortete charmant mit "Nicht wirklich, aber wir sind besser verbunden ..."(1). 21 Jahre später versorgen uns Twitter, die Tagesschau in 100s und diverse Liveticker im Sekundentakt mit neuen Informationen (auch nachts halb 3 wenn der Flugmodus nicht aktiviert war). Aber die Wahrheit lässt sich nicht so leicht einholen. Der Polizist der Wahrheit sieht die echten Zeugen regelmäßig nur von hinten. Und so wird aus „Frau, 1.80m groß, lange blonde Haare“ schnell eine freundlich, zurückhaltende, schlanke Diva mit Modebewusstsein. Fehlendes wird durch passendes ergänzt, ganz einfach. Das klappt auch im Kleinen: „Das IPad 2 ist da“. Nicht völlig falsch, aber im App Store sollte diese Wahrheit nicht tagesaktuell ausgewertet werden.(2) Immerhin kann man schon jetzt für das IPad bezahlen, was einem Besitz recht nahe kommt. Ihr wisst was ich meine und kennt noch mehr Beispiele?

Terry Pratchett unterscheidet zwischen der „reinen“ und der „ganzen“ Wahrheit. (3) Nach dieser Definition könnte ein Blogger mit „nichts als der Wahrheit“ episch und eindrucksvoll von technischen Errungenschaften der Menschheit berichten, ganz unabhängig von möglichen Vergünstigungen, Spenden, Marketingverträgen und „Testgeräten“ (*ich warte noch auf einen Sponsor). Auch Twitter kann stolz von Millionen Nutzern sprechen ohne gezwungen zu werden, die Anzahl maschineller, toter und betrügerischer Accounts preiszugeben (4).

Ich möchte aber auch zur Fairness aufrufen, um wenigstens in diesem Artikel der ganzen Wahrheit näher zu kommen. Sind es nicht auch unsere Fragen, die unsaubere Antworten provozieren, freuen wir uns denn auf die ganze Wahrheit und suchen wirklich nach Ihr? Oder weshalb ist „Reality-TV“ (5) so beliebt? Weshalb fragen wir so konsequent nach bei der Abschaltung der Atomkraftwerke, stellen uns aber (lieber) nicht die Frage nach den Alternativen? Wollen wir wirklich wissen, was aus den Arbeitern in Fukushima (6) wird in den nächsten 30 Jahren (und deren Kindern)? Fragt irgendjemand, wie es den Arbeitern in Ägypten heute geht, 25 Tage nach der friedlichen Revolution? (7) Wollen wir wirklich wissen, was sich hinter unseren virtuellen Freunden sozialer Netzwerke verbirgt? Wie viele Vizedirektoren ein mittelständiges Unternehmen überhaupt haben kann? Welche Antwort erwarten wir auf „Bin ich schön?“ (8) ? Macht Ihr die Tür auf, wenn die Wahrheit bei Euch klingelt und sagt „Man, bist Du dick und alt geworden. Mach mal wieder Sport und trink mehr Null prozentiges!“

Oder leben wir ganz gut in der Nachbarschaft der Wahrheit, in Sichtweite aber aus sicherer Entfernung? Das Leben ist schließlich kein Ponyhof (9). Wenn uns die Antworten aber nicht gefallen, dann sollten wir bessere Fragen stellen (einen Versuch wert?). Die Antwort auf alle Fragen ist … (10) und das ist die reine Wahrheit.


Oliver (so heiße ich zumindest im Pass)

Falls mich jemand zitieren möchte: „Die Wahrheit ist wie ein gleißendes Feuer. Ohne Ihre Nähe würden wir erfrieren. Doch um so näher wir kommen, um so brennzlicher wird es.“

PS.: Probiert das richtige Fragen zunächst bitte nicht an Menschen aus, die Euch nahe stehen.


Quellen:
1.) Heise zum 50. Geburtstag von Sir Timothy John Berners-Lee, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Der-Ritter-des-Internet-zum-50-Geburtstag-von-Tim-Berners-Lee-108163.html
2.) Das IPad 2 ist seit 25.03.2011 02.00 Uhr online bestellbar, eine Mail „Das IPad 2 ist da“ wurde an alle Interessenten verschickt, 5.00 Uhr betrug die Lieferzeit bereits 2-3 Wochen, heute Abend sind es 3-4. http://store.apple.com/de/browse/home/shop_ipad/family/ipad/select?mco=MjE2MjYyNzA
3.) „Er kam zu dem Schluss, nicht auf die ganze Wahrheit zurückzugreifen, sondern stattdessen nichts als die Wahrheit zu wählen, die im Allgemeinen auf das Bedürfnis nach Aufrichtigkeit verzichtet.“ in „Der Club der unsichtbaren Gelehrten“, ein Scheibenwelt-Roman von Terry Pratchett , ins Deutsche übertragen von Gerald Jung.
4.) Quelle: TwitterSmash-Blog: „Das schmutzige Geheimnis über Twitter“, http://twittersmash.com/das-schmutzige-geheimnis-uber-twitter/
5.) „Als Reality-TV (deutsch: Realitätsfernsehen) bezeichnet man ein Genre von Fernsehprogrammen, in denen vorgeblich oder tatsächlich versucht wird, die Wirklichkeit abzubilden“, Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Reality-TV
6.) „Zustand der Fukushima-Arbeiter stabil“, war eine der letzten Meldungen zu den drei Strahlenopfern am 24. März, Quelle: n-tv, http://www.n-tv.de/Spezial/Sorge-vor-Strahlen-waechst-article2929211.html
7.) „Premierminister Schafiq trat nach anhaltenden Protesten gegen seine Regierung am 3. März 2011 zurück“ , Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84gypten
8.) „Bin ich schön? (1998) unter Regie von von Doris Dörrie, http://www.imdb.com/title/tt0144106/
9.) Lara Fritzsche nahm den bekannten Spruch 2009 als Buchtitel auf „Das Leben ist kein Ponyhof", http://www.amazon.de/Das-Leben-ist-kein-Ponyhof/dp/3462041282/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1301343266&sr=1-1
10.) „Die Antwort 42 ist das kürzeste und bekannteste Zitat aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams“, http://de.wikipedia.org/wiki/42_%28Antwort%29

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